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Fussballkunst


Sascha Ruefer. Der Kerl wird langsam unheimlich. Kürzlich deckte sich eine seiner pointierten Aussagen genau mit meiner Meinung. Einer habe mal gesagt, die nahe Ecke sei die Torhüterecke und der Goalie müsse einen Treffer dort auf alle Fälle verhindern. Und jetzt plappern es ihm alle nach, Spieler, Zuschauer, Trainer, Reporter, Experten, alle. Zu hören mal wieder im Zusammenhang mit zwei Treffern von Harry Kane gegen Roman Bürki. Ich spreche hier nicht von der speziellen Situation des direkten Freistosses mit einer „Mauer“ vor der nahen Ecke, sondern von Situationen aus dem Spiel heraus. Gegen dieses haltlose Vorurteil gibt es ein geometrisches und ein physiologisches Argument. Wenn der Torwart die nahe Ecke so zustellt, dass er dort nicht mehr zu überwinden ist, bleibt die entfernte Ecke so weit offen, dass sie leicht zu treffen ist. Steht der Goalie aber in der Mitte des Schusswinkels, muss ich als Stürmer zuerst eine Ecke auswählen und die dann auch noch genau treffen. Schüsse wie diejenigen von Kane im betreffenden Spiel erreichen locker 110 km/h, also etwa 30 m/s. Aus 6 Metern abgegeben benötigen sie zur Torlinie 2 Zehntelssekunden, also die Zeit, welche ein Mensch braucht um anzufangen zu reagieren. Landet der Schuss nicht in der Region, welche der Torhüter erreicht ohne einen Schritt zu machen, erreicht er ihn selbst bei einer Distanz von 8 Metern oder mehr auch mit einem glänzenden Reflex nicht. Die beiden Tore, welche Bürki da kassiert hat, sind für mich unhaltbar, aber seit diesem Spiel wird er regelmässig derart in die Pfanne gehauen, dass er neulich mit einem hirnrissigen, missglückten Ausflug tatsächlich ein Tor verschuldete.

Ich staune immer wieder, wie miserabel Pässe, Flanken und Eckstösse von hochausgebildeten und -bezahlten Profis selbst dann getreten werden, wenn sie völlig unbedrängt sind. Sieht nicht so aus als würden die das regelmässig trainieren. Wenn Ärzte so operieren und Piloten so fliegen würden, wäre ich sicher nie mehr auf einem Flughafen, und selbst bei massiven Schäden kaum in einem Spital anzutreffen. Immer wieder holen diese „Künstler“ bei Direktabnahmen weit aus, hauen voll drauf und spedieren das Leder in den Nachthimmel. Uns hat ein Trainer in der 3. Amateurliga mal beigebracht, dass man eigentlich nur den Fuss hinhalten und ein wenig gegen den Ball drücken soll, welcher dadurch viel präziser gesteuert wird und absolut genügend Fahrt erhält. Offenbar hatte auch Garret Bale mal einen solchen Trainer, wie er mit einem seiner letzten Treffer für Real eindrücklich demonstrierte. Bälle auf Hüfthöhe zu schlagen führt oft zu viel zu hohen Schüssen weil der Ball nicht genau in der Mitte getroffen wird und vor allem weil sich der Fuss von unten nach oben bewegt. Lässt man sich seitlich fallen und trifft den Ball genau dann wenn der Körper die Horizontale passiert, bewegt sich das Bein automatisch horizontal und dieser Fehler lässt sich fast sicher eliminieren, wie Blerim Djemailj neulich bei einem Spiel mit Montreal eindrücklich demonstrierte. Bälle auf Schulterhöhe erfordern zusätzlich ein spektakuläres Hochspringen à la Shakiri an der EM gegen Polen. In beiden Fällen schlägt der Spieler halt zuletzt auf dem Boden auf, wobei er sich eigentlich nicht wie ein 90-jähriger den Schenkelhals brechen sollte.

Unsere Fussballnati wird definitiv überschätzt. Die Jungs spielen zwar immer mal eine wirklich erfreuliche Halbzeit wie die erste gegen Ungarn. Aber dann greift unweigerlich wieder der „Serviertochtereffekt“: Wenn der Gegner 80% verlangt, spielen sie locker tatsächlich mit 80%. Kommt aber so einer daher wie Portugal in der zweiten Hälfte, würde das eine Leistung von 110% verlangen. Da muss man feststellen, dass sie nicht nur 110% nicht schaffen, sondern infolge totaler Überforderung auf 50% oder weniger zurückfallen. Von der Balkansektion, welche praktisch das gesamte Mittelfeld und den Sturm stellt, bringt lediglich Behrami konstant beachtliche Leistungen. Alle anderen sind Wundertüten, die sich vor allem durch Frisuren, Kleider, Autos, hübsche Freundinnen und reklamieren auszeichnen. Mal mit genialen Ansätzen, dann wieder bringen sie kaum ein Bein vors andere wie zum Beispiel der „Zauberwürfel“ gegen Portugal. Sie sind alle wirklich talentiert und perfekt ausgebildet, aber aussergewöhnlich häufig verletzt und es fehlt ihnen an mentaler Stärke oder Charakter wie man das früher nannte. Ein einziger mit dem menschlichen Format eines Ludovic Magnin oder Georges Bregy oder eben der verletzte Behrami hätte es vielleicht fertiggebracht, dass sie gegen Portugal wenigstens 100% erreicht und eine minimale Chance gehabt hätten.

Was ich absolut nicht verstehe ist die geradezu absurde Verehrung von Granit Xhaka. Zugegeben, ich habe ihn fast nur mit der Schweizer Auswahl gesehen, aber da fielen mir nur vereinzelte wirklich gute Pässe oder Tacklings und selten mal ein Tor auf. Viel zahlreicher sind Erinnerungen an Totalversagen wie der Penalty an der EM, jämmerliche Fehlschüsse in mindestens doppelter Torhöhe, gefährliche Fehlpässe, halb missratene, völlig unnötige Prestigedribblings im Mittelfeld und schon fast bösartige Fouls und entsprechende Verwarnungen. Er vermittelt nie das Gefühl, sich eines Fehlers bewusst zu sein, nicht mal wenn er für die Schweiz die EM verliert. Jeder Andere verbirgt das Gesicht in den Händen, rauft sich die Haare, blickt verzweifelt in den Himmel oder so was. Er aber stolziert hoch erhobenen Hauptes in den Anstosskreis zurück und seine Körpersprache vermittelt eine Message wie: „Habt ihr gesehen, so macht man das“. Schon beim Spiel gegen Ungarn bekam ich im Hinblick auf Portugal ein mulmiges Gefühl, als dieser Wunderspieler an der Seitenlinie nicht nur grobfahrlässig einen Ball verlor, sondern danach einfach stehen blieb, worauf die harmlosen Magyaren die Schweizer Abwehr wie Drittligisten aussehen liessen. Mit Wehmut erinnere ich mich an sichere Werte in der Vergangenheit wie Vogel, Wicki, Sforza, Sutter, Frei, Chapuisat, Streller und viele andere, welche über längere Zeit bei renommierten Vereinen Schlüsselrollen spielten. Der einzige „Schweizer“, welcher das zur Zeit bei Barcelona schafft, spielt für die Kroatische Nationalmannschaft.

Die Pfiffe gegen Seferovic waren sicher das Dümmste, was ein Fan machen kann, welcher von seiner Mannschaft erwartet, dass sie überzeugt. Vor allem richteten sie sich gegen den falschen Mann. Haris reisst sich seit Monaten den Arsch auf, steht oder läuft häufig hervorragend, versagt aber dann im Abschluss teilweise schon recht kläglich. Dennoch gibt es auch Szenen wie diejenige, als er dreimal vom Nordiren brutal weggestossen wurde, immer wieder aufstand und sich zuletzt im Rücken des Gegners davonstahl und mit seinem Spagat den missratenen Schuss von Djemaili um Haaresbreite verfehlte. Hätte der statt zu schiessen wirklich einen Pass gespielt, wäre der „Mann aus Sursee“ stattdessen zum Helden geworden. Wirklich jämmerlich war für mich aber, dass sich die Schweizer Stars von Zweit- und Drittligaspielern aus England eine halbe Stunde lang erdrücken liessen. Dafür wären die Pfiffe eher angebracht gewesen wie seinerzeit nach dem absolut mutlosen Unentschieden gegen die starken Tschechen, als Trainer Rolf Fringer die Pfiffe des anspruchsvollen Schweizer Publikums nicht verstand. Im Gegensatz etwa zu den Tifosi wollen Schweizer schon auch gewinnen, aber noch wichtiger ist offenbar eine überzeugende Leistung, auf die man stolz sein kann.

Vor kurzem habe ich in Benalmadena dafür einmal mehr den für mich nach wie vor besten Spieler der Welt bewundern können. Andres Iniesta ist der ultimative Meisterregisseur von Barcelona. Kaum vom Ball zu trennen, überall präsent, auch defensiv eine Bank, spielt er auch aus grösster Bedrängnis absolut geniale Pässe in die Tiefe oder zentimetergenau quer über den ganzen Platz. Fouls begeht er selten und schon gar keine hässlichen. Er war zu seiner besten Zeit zusammen mit Xavi der Hauptverantwortliche für die überirdische spanische Überlegenheit. Den würde ich für meine Mannschaft heute noch vor einem Messi oder Ronaldo kaufen. Dazu für das defensive Mittelfeld den Kroaten Modric, welcher all die Qualitäten mitbringt, welche Herrn Xhaka angedichtet werden.

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